Eine terminlose Woche

Am Montag hätte ich eine kleine OP gehabt. Kein großer Eingriff, aber dennoch wurde mir im Krankenhaus gesagt, dass ich etwa zwei Wochen krank sein werde. Am Freitag vor dem Montag wurde die OP abgesagt. Stattdessen haben wir einen neuen OP Termin zwei Wochen später ausgemacht. Plötzlich hatte ich zwei Wochen komplett frei! Ein wirklich irritierendes Gefühl hat sich breitgemacht. 

Die erste Woche war im Kalender komplett frei - in der zweiten Woche hatte ich wenigstens ein paar Online-Termine und Telefonate geplant. Der Blick in meinen Kalender verursachte ein ausgesprochen ungutes Gefühl! 

 

Ich bin es seit meiner Schulzeit gewöhnt, verplant zu sein. Termine zu haben. Eigentlich jeden Tag. Eine Unterbrechung war der erste Lock-Down 2020. Aber damals waren wir alle in einem Experimentiermodus, ich war nicht allein mit dem Ungewohnten. Letzte Woche dagegen war ich allein. Mit dem Gefühl, dass mir im Rentenalter noch mehr so Wochen beschert werden, in denen ich keine Termine und keine Verpflichtungen habe. Mein erster Impuls war, ich fahr weg. Ich besuch meine Eltern oder mache sonst irgendeine Reise. Wir waren bloss gerade die Woche vorher in einem Kurzurlaub gewesen, deshalb hatte ich nicht wirklich Lust. Es war mir auch wichtig, dass Kurzzeit-Experiment "Testwoche Ruhestand" auch tatsächlich zu durchleben. 

Das Testergebnis Ruhestand

Einen Tag Ausflug, einen Tag ausruhen, einen Tag Kleinkram - in dem Rhythmus bin ich gut durch die Woche gekommen. An den Ausflugstagen habe ich einmal zwei Freundinnen besucht und war ein bisschen shoppen, am anderen Tag war ich mit einer jugendlichen Freundin in der alten Nationalgalerie. Ich habe im Garten gearbeitet und mich um einigen Kleinkram am Schreibtisch gekümmert. Ich habe viel Hörbuch gehört und bei einem Computerspiel meinen Highscore erhöht. Ich wollte eigentlich gleich diesen Artikel schreiben, dazu konnte ich mich aber nicht aufraffen. Und das war gut so. Denn ich muss auch noch über das dicke Ende berichten. 

Die große Unruhe

Die zweite Woche war ja immer noch relativ ruhig, wenn ich auch hier und da ein paar Online-Coachings hatte. Ich wurde unruhig! Plötzlich habe ich Stellenanzeigen gelesen. Sogar eine Bewerbung für eine freiberufliche Tätigkeit abgeschickt. Spannend, wie schnell diese Unruhe kam. Ich habe versucht, sie auszuhalten. In mich reinzuspüren, was genau fehlt. Ich kann es trotzdem immer noch nicht sicher sagen. Die Unruhe hat sich zum einen an fehlenden Aufgaben festgemacht, zum anderen schon auch wieder an der Frage, ob ich tatsächlich schon so früh in Rente gehen darf, ob das Geld reichen wird und ob das wirklich ein guter Plan ist. Es wurde wieder besser nach einer ehrenamtlichen Aufsichtsratssitzung und nach ein paar Coachings. Ich war wieder in meinem alten Rhythmus, nur ein bisschen reduzierter.  

Umgang mit der Niederlage

Die Überschrift ist provokant, ich weiß gar nicht genau, ob ich den Ausgang des Experiments als Niederlage empfinde. Vielleicht nur als interessantes Ergebnis:  Aktuell gibt es für mich (noch) eine Grenze, bei der sich die Beendigung der Erwerbsarbeit nicht gut anfühlt. Ein bisschen Arbeit muss noch sein! 

 

Aber das Leben ist ja ein Prozess und ich habe mich schon gut auf den Weg gemacht. Ich arbeite bereits viel weniger als beispielsweise noch vor einem Jahr. Wahrscheinlich werde ich mich auch an noch weniger gewöhnen können.  Allerdings stelle ich mir immer häufiger die Frage, ob ich das tatsächlich will. Vielleicht ist das optimale Leben ja auch schon erreicht. Trotzdem möchte ich mein Experiment 2024 nochmal ausweiten. 

Ein Sabbatjahr?

2024 steht ja ohnehin der Umzug an. Um diesen Umzug möchte ich mir testweise einen längeren Zeitraum frei nehmen. Nicht arbeiten, keine Termine annehmen und einfach schauen, was dann passiert. Wie lange ist mir noch nicht klar. Wie lange hier noch in Berlin und wie lange in Kassel auch nicht.  Vielleicht auch eine Zeitlang an einem ganz anderen Ort, die Freiheit der Terminlosigkeit kann ich ja überall erleben. Vielleicht werden es sechs Sabbatmonate, vielleicht auch ein ganzes Jahr. 

 

Ich glaube bloss, dass ich es sehr genau planen muss. Was ein bisschen ein Paradox ist, aber wenn ich mich nicht sehr bewusst von der Gewohnheit abwende, wird sich mein Terminkalender wie automatisch füllen. Natürlich kannst Du jetzt auch einwenden, dass eine Zeit, in der ein großer Umzug ansteht, sowieso anstrengend und mit vielen Aufgaben gefüllt sein wird. Womit Du Recht hast. Deshalb wird es länger sein müssen. Normalerweise würde ich mir für einen Umzug etwa einen Monat Zeit nehmen. Sechs bis zwölf Monate ist einfach schon ganz schön viel länger. Ich glaube auch, dass ich mir eine Deadline setzen muss, vor der ich nicht wieder anfange, was zu machen. Weil ich sonst das Experiment schleichend abbrechen werde. 

Und nach der Auszeit?

Ich verstehe, wenn Du das Gefühl hast, dass ich Probleme auf hohem Niveau bewältige. Das stimmt sicherlich. Dennoch sind es gerade meine:

 

Ich brauche die Deadline. Mit der Vorstellung danach an neuem Wohnort eine Zäsur machen zu können. Also erst am Ende der Sabbatzeit zu entscheiden, ob ich einfach weiterhin in Rente bleibe und nur noch ehrenamtlich neue Tätigkeiten annehme. Oder ob ich dosiert freiberuflich nochmal als Coach, Trainerin oder Autorin arbeite oder ob ich nochmal ganz was Neues anfange.  Selbstverständlich werde ich mir während der Sabbatzeit dazu immer wieder Gedanken machen. Aber für mich ist es schon ein riesengroßer Unterschied, nur zu denken und nicht gleich irgendwen anzurufen und irgendwas zu planen. 

 

Ob ich im Sabbatjahr diesen Blog weiterführe, werde ich noch entscheiden. Vielleicht mit etwas weniger Beiträgen. Vielleicht aber gerade erst recht, einfach um irgendwo meine Gedanken zu sortieren und zu fokussieren.  Ich werde Euch rechtzeitig Bescheid sagen. 

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