
Mein Mann ist eher ein Gewohnheitstier. Ich kann mich dem bedingt hingeben. Um dann unruhig zu werden und Veränderungen ausprobieren zu wollen. Ich sage bewusst, ausprobieren. Denn es gibt viele Veränderungen, die ich zunächst (mit viel Kraftaufwand) durchsetze und bei denen ich insgeheim froh bin, wenn wir sie wieder rückgängig machen und zum gewohnten, vertrauten Zustand zurückkehren. Aber um den vertrauten Zustand als etwas Gutes wahrnehmen zu können, brauche ich diese Testphasen!
Thomas braucht sie nicht, also zumindest nicht bei den Veränderungen, die ich so vorschlage. Aktuell möchte ich ausprobieren, ob ich später frühstücken kann - bzw. es ganz weglassen kann. Ich weiß aber auch, dass ich etwas essen würde, wenn ich ihn essen sehe. Solange er da also nicht mitmacht, muss ich mich zurückziehen. Was er blöd findet, weil wir unsere gemeinsame Frühstückszeit sehr genießen. Der Paartanz beginnt!
In einer ersten Antwort auf meine Veränderung versucht er, herauszufinden, wie ernst es mir ist. Zumindest kommen mir seine Drehungen so vor. Er versucht mich, in unsere Ausgangsposition zurückzubewegen. Ich leiste Widerstand. Wir diskutieren, wir streiten. Er braucht Zeit, um sich an die neuen Schritte zu gewöhnen. Ich kann auch noch nicht einschätzen, ob er mitgehen will. Ob wir an dem Ziel enden werden, welches ich mir vorstelle, ob wir stehen bleiben, da wo wir sind oder ob sich ein nochmal anderes Ziel entwickelt. Für uns als Paar finde ich das andere Ziel am spannendsten. Aber erst im Rückblick. Während ich eine Veränderung will, wäre es mir am liebsten, wenn er einfach meinen Schritten zu meinem Ziel folgt. An diesem Versuch bin ich bereits mit 20 in der Tanzschule gescheitert.

Um in dem Bild des Paartanzes zu bleiben, ich fordere von meinem Mann ja gerade den improvisierten Tanz. Schau mal, wo Deine Frau hin will und lass Dich darauf ein.
Ich weiß, dass er für mich das Beste will. Gleichzeitig will er natürlich auch für sich schauen, was passt. Was ich ja auch okay finde. Soviel zur Theorie.
In der Praxis funktioniert unser improvisierter Tanz zu neuen Orten nur mit Spannung. Und die entspricht jetzt leider nicht einem leidenschaftlichen gemeinsamen Tango. Sondern ist eher geprägt von negativer Stimmung und Rückzug. In den ersten Takten. Wenn die Musik wieder ruhiger wird, finden wir uns meistens wieder zusammen. Um zu verhandeln und zu schauen, was gemeinsam geht. Wo lasse ich dann doch wieder locker und gehe von meinem Ziel ab, wo ist er doch bereit mir zu folgen und wo entdecken wir nochmal was ganz Neues.

Während ich das hier schreibe, frage ich mich, ob der Beitrag nicht gänzlich banal ist. Für funktionierende Beziehungen ist er das vielleicht tatsächlich. So oder so finden Paare immer wieder zueinander. Wobei mich durchaus Wege interessieren würden, bei denen der Tanz vielleicht ein bisschen kürzer und weniger anstrengend ist?
In meinem Umfeld und in dieser Altersspanne zwischen 50 und 70 erlebe ich viele Paare, die diesen Tanz schon lange nicht mehr tanzen. Entweder, weil sie getrennt sind oder weil sie zwar noch zusammen sind, sich aber entschieden haben, nicht mehr zu tanzen. Nicht mehr auszuhandeln, wie sie gemeinsam was verändern können. Vielleicht das Vertrauen verloren haben, dass beide für beide grundsätzlich nur Gutes wollen, aber manchmal Zeit brauchen, bis sie neue Schritte mitgehen können. Oder eben auch in gefühlter Gemeinsamkeit, eine Person ein Solo tanzen zu lassen. Vielleicht auch nicht mehr die Kraft haben, den spannungsvollen Tanz, der zu irgendeiner Veränderung führen wird, zu tanzen.

Ich möchte mit meinem Mann weiter tanzen. Ich möchte streiten und mich versöhnen. Ich möchte die für mich nötigen Veränderungen ausprobieren können und gleichzeitig schauen, dass sich auch Thomas gut fühlt.
Für uns beide brauchen wir dazu auch sehr viele Phasen, in denen wir einen harmonischen Walzer tanzen. Den Tanz des Lebens, den wir kennen, in dem wir uns nah sind und in dem die Schritte weitestgehend festgelegt und uns vertraut sind.
Und noch eine Bemerkung zum Schluss: Wir können gar nicht tanzen. Zu diesem Bild des Tanzes hat mich meine Freundin Bettina gebracht, die begeistert Tango tanzt. Sie wird mich bei unserem nächsten Treffen sicherlich korrigieren, was ich mir jetzt beim Tanzen alles falsch ausgemalt habe. Beim letzten Treffen erzählte sie, dass sie mit ihrem Tanzpartner gerade sehr intensiv daran arbeitet, eingefahrene Fehler im Tanz wieder zu verändern. Das sei viel anstrengender als neue Schritte zu lernen. Dieses Bild eignet sich tatsächlich auch wunderbar, um über Paare zu philosophieren. Aber nicht heute.
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