Junge Rentnerin

Eine Freundin von mir ist bereits im dritten Sabbatjahr. Sie lebt von ihrem Kapital, so wie ich das auch vor habe. Ein Ende ihrer Sabbatzeit ist nicht in Sicht. Für mich ist das Rente. Für sie ist das Wort Rente ein Unwort. Auf meine Domain Ich-geh-in-Rente reagiert sie entsprechend verhalten. Auch für mich ein Anlass, mir nochmals über das Wort Rente und den Zustand der Rentnerin Gedanken zu machen.

Wir definieren Rente sehr unterschiedlich. Wenn ich nach Definitionen suche, finde ich beispielsweise diese Beschreibung: 

Rente

1a. regelmäßiger, monatlich zu zahlender Geldbetrag, der jemandem als Einkommen aufgrund einer [gesetzlichen] Versicherung bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze, bei Erwerbsunfähigkeit o. Ä. zusteht

1b. regelmäßige Zahlungen, die jemand aus einem angelegten Kapital, aus Rechten gegen andere, als Zuwendung von anderen o. Ä. erhält. (Oxford Languages)

 

 

Ich würde mich also für die 1b Rentnerin qualifizieren, ich erwerbe mein Einkommen aus angelegtem Kapital und aus Buchrechten. Kein Wort von irgendeiner Altersgrenze, ich wäre also auch schon mit 55 ganz klar in Rente. 

 

Mit 55 schon Rentnerin? 

 

Ich bin sicher, bei der einen oder anderen Leserin weckt das Widerstand. Unser Bild einer Rentnerin macht sich nicht nur am Einkommen fest, sondern eben auch am Alter. "Vollwertige Rentnerin ist man aktuell mit 65, in ein paar Jahren mit 67", so höre ich meine Freundin sagen. Denn das ist die Definition der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Politik legt fest, in welchem Alter wir Gelder aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Daraus machen wir, dass dies der Zeitpunkt ist, zu dem wir diesen Zustand annehmen. Zum Teil eben auch annehmen müssen. Weil es eben gar nicht vorgesehen ist, dass man darüber selber entscheidet, sondern in der Regel Arbeitsverträge einfach beendet werden. Wir wollen ihn auch oft nicht annehmen, weil er schlicht mit Alt-Sein verknüpft ist, wer will das schon. 

 

Ein bisschen Spielraum bleibt uns, wir können die gesetzliche Rente auch schon mit 63 beantragen, dann allerdings dürfen wir auch nur noch ein kleines bisschen dazuverdienen, es gibt ganz klare, relativ enge Grenzen, wie viel das ist. Ab 67 darf man dann wieder beliebig dazuverdienen. Viele werden es müssen, aber so richtig ist das bei vielen Arbeitgeberinnen noch nicht angekommen, dass es da Kapazitäten gibt, die man im allgemeinen Fachkräftemangel gut nutzen könnte. Das kann ja noch werden. 

 

Zurück zu jungen Rentnern

 

Ich spreche bewusst nicht von Frührentnern, der Begriff ist häufig fälschlicherweise belegt mit der Einschätzung, dass man dann aufgrund einer Behinderung etc. nicht mehr arbeiten kann. Obwohl dies die EU-Rente ist. Als ich diese Abkürzung zum ersten Mal gehört habe, dachte ich, was hat die Europäische Union jetzt hier zu suchen, aber EU steht für Erwerbsunfähigkeit. (-;

Frührentnerinnen sind dagegen alle Frauen, die zwischen 63 und 67 in Rente gehen. Für Männer gilt das auch. Wenn ich zu diesem Begriff eine Definition suche, finde ich nur Beschreibungen, die sich auf die Konditionen der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Wir sind hier also sehr über die gesetzliche Rente in unserer Wahrnehmung und der Nutzung von Begrifflichkeiten reduziert. 

 

Menschen, die davor in Rente gehen, haben ein begriffliches Problem. Wir sind schlicht zu jung, um uns Rentner nennen zu dürfen. Oder Rentnerin. Es weckt sofort Widerstand. 

 

Alternativen? Experimentelle Rentnerin? 

 

Bei der Suche nach einer guten Domain genauso wie in Gesprächen erlebe ich immer wieder ein Fragezeichen, wenn ich nach passenden alternativen Worten suche, um meinen Zustand, oder besser meinen Zielzustand zu beschreiben. Andere nutzen finanzielle Freiheit, Privatier, Luxusleben. Das hat alles auch was, spricht mich aber trotzdem nicht so an. Haben wir aber keinen Begriff, wie wir uns bezeichnen, laufen wir auch Gefahr unsichtbar zu sein. 

 

Am meisten gefällt mir aktuell der Begriff der jungen Rentnerin. Vielleicht auch noch experimentelle Rentnerin. Beide Begriffe: jung wie auch experimentell, enthalten für mich Anteile von Versuch und Irrtum. Von ausprobieren und entdecken. Und das trifft es für mich sehr gut und soll auch so bleiben. Dennoch weiß ich, dass ich auf die Frage bei irgendwelchen Treffen, auf viele fragende und stutzende Gesichter stossen werde, wenn ich auf die Frage, was ich beruflich mache, antworte: Ich bin junge Rentnerin. 

 

Wie siehst Du das? Gibt es andere Begriffe, die Menschen treffend beschreiben, die weit vor dem gesetzlichen Rentenalter nicht mehr klassischer Erwerbsarbeit nachgehen? Oder fallen Dir Begriffe ein, die den Begriff Rente ersetzen? Weil er vielleicht schon so überstrapaziert und mit negativen Bildern in unseren Köpfen besetzt ist, dass wir einen neuen brauchen? Ich freu mich auf viele neue Gedanken. 

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Kommentare: 3
  • #1

    Bettina (Samstag, 01 Oktober 2022 18:42)

    Liebe Gisela,
    spannende Gedanken, vielen Dank dafür! Ich habe direkt mal Synonyme für Rente gegoogelt und bin auf "Ruhegenuss" gestoßen. Würde das zu Dir passen? Für mich hört sich das gut an!
    Herzliche Grüße,
    Bettina

  • #2

    Peter (Donnerstag, 10 November 2022 13:59)

    Hi,
    meine Frau ist Französin und die hat Privatiere vorgeschlagen. Vielleicht gefällt Dir das ja.

    Viele Grüße Peter

  • #3

    Thomas (Donnerstag, 10 November 2022 14:01)

    Bei Wikipedia habe ich es auch gerade gefunden:
    "...Privatier [pʁivaˈtjeː], auch Privatus und weiblich Privata bzw. Privatière..."