Bei manchen Büchern merke ich schon beim ersten Lesen, dass dies ein Buch ist, was mehrmals gelesen werden will. Es enthält so viele Anregungen, dass ich sie im ersten Lesen nicht erfassen werde. Alter ist eine Illusion von Michael Lehofer ist so ein Buch. Er regt intensiv und aus vielen verschiedenen Blickwinkeln an, Alter und Jugend neu zu denken. Lebensjahre sind für ihn und seine Sichtweisen unwichtig, es sind Haltungen und Lebensformen, die auch mit vielen Lebensjahren sehr jung daherkommen können und andere Lebensformen, die auch schon mit Mitte 20 ausgesprochen alt wirken können.

Anstatt viel Zeit damit zu verschwenden, jung bleiben zu wollen oder über das Alter zu jammern, motiviert die Lektüre zu neuen Gedanken, neuen Aktivitäten und einen erfrischenden Umgang mit dem Tod und den vielen Lektionen, die wir gerade in schwierigen Zeiten lernen durften. Neu lernen, sich neu erfinden - dass ist sein Credo, wie wir bis zum Tod jung bleiben können. Ich musste schallend lachen über seine Herangehensweise, was den eigentlichen Tod angeht. Angelehnt an Sokrates begegnen sie diesem mit dem Gedanken: Ich bin gespannt, was jetzt aufregendes kommt.
Der Umgang mit Schicksalsschlägen ist ähnlich radikal und macht Schluss mit dem Wunsch, nach einem solchen wieder das alte Leben herzustellen.
Die Verbitterung ist vorprogrammiert, weil sich das Verlorene nicht wiederherstellen lässt. Wenn wir uns jedoch wieder offen und mutig dem Leben aussetzen, so werden wir meist erkennen, dass wir ohne das, was uns unverzichtbar erschien, sehr gut auskommen. Diese Erfahrung macht uns nahezu unverletzlich und innerlich frei. Es erwächst uns daraus eine Weisheit, die sich als heitere Gelassenheit zeigt. In ihr liegt die wahre Reife eines Menschen - und Alter wird zur Illusion.
Um ein bisschen in die Gedankenwelt von Michael Lehofer einzusteigen, hier ein paar Zitate aus dem Buch, die ich mir angestrichen habe:
Zur Suche nach dem Sinn im Alter schreibt er: "Ich gehe davon aus, dass der Sinn des Lebens dann gegeben ist, wenn einen die Sinnfrage nicht in den Sinn kommen kann. Das ist der Fall, wenn wir sinnlich leben." Und malt im Anschluss sinnliche Momente aus: wie ein Konzert, eine Begegnung mit Menschen, einer Tätigkeit, in der man aufgeht.
Er ermuntert zu Entscheidungen, egal ob für eine Frau oder den Wohnort oder was auch immer: "Denn ohne Entscheidung hat man zwar in der Theorie alles, in der Wirklichkeit jedoch nichts. Umgekehrt hat man durch eine Entscheidung mehr als das, wofür man sich entschieden hat, weil die Realität eine Fülle ermöglichts, die man sich vorher nicht denken konnte. So gesehen, bin ich für jede Entscheidung meinerseits dankbar, nicht selten im Nachhinein auch für Fehlentscheidungen. Denn jede Entscheidung brachte mich auf den Boden, brachte mich mitten ins Leben, von der Theorie in die Realität."
Sehr angesprochen habe ich mich bei seinen Gedanken zu Möglichkeiten gefühlt: "Es ist absurd, ein ganzes Leben lang seinen Möglichkeiten nachzurennen und dadurch die Möglichkeiten zu verpassen, die sich aus der Freiheit ergeben, die man durch die Entschiedenheit des eigenen Lebens hat. Entschiedenheit bedeutet, aus dem Vollen zu schöpfen und macht jung, wohingegen das (Auf-)Bewahren der Möglichkeiten das Bild eines alten Menschleins in einem zeichnet, der aus Angst, in harten Zeiten nicht genug zu haben, seinen Keller mit Dingen vollräumt, die es niemals benutzen wird."
Wer Angst vor der Zukunft hat, der darf mit folgender Erkenntnis reifen: "Die wahre Erkenntnis besteht darin zu verstehen, dass wir nichts wirklich im Griff haben."
Ich könnte noch stundenlang aus diesem wunderbaren Buch zitieren, aber es würde Gedanken auch immer etwas aus dem Kontext der unterhaltsam geschriebenen kurzen Kapitel reißen. Deshalb empfehle ich es eher zur eigenen Lektüre.
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