Wir werden alt

In meinem Freundeskreis wird es gerne noch weggedrückt. Das eigene Alter oder das eigene Altern. Und wenn ich es mir aussuchen dürfte, dann würde auch ich gerne sagen, dass das mit dem Alter nur die Generationen vor mir betrifft. Generationen? Es ist leider nur noch eine. Die unserer Eltern. 

 

Wir beobachten unsere Eltern, die glücklicherweise alle die Hochaltrigkeit erreicht haben. Mein Schwiegervater ist mit fast 90 Jahren von uns gegangen, meine Schwiegermutter lebt mit über 90 alleine in ihrer überschaubaren und Rollator-geeigneten Wohnung. Sie macht das gut. Glücklicherweise wohnt meine Schwägerin im selben Ort und sieht ihre Mutter fast täglich.

 

Meine Eltern sind gerade 80 geworden und leben noch in meinem Elternhaus. Ein Haus mit Treppen und einem großen Garten. Jedes Jahr verkünden sie wieder, dass dies das letzte Jahr ist, in dem sie den Garten bestellen. Wird es dann wieder Frühjahr stehen sie doch wieder in ihren Gemüsebeeten und freuen sich am jungen Grün. Ich mache mir regelmäßig Sorgen, wie es ist, wenn sie nicht mehr Treppen steigen können. Zumal ich viele, viele Kilometer entfernt wohne. Ich möchte sie nicht aus ihrem Haus in ein Pflegeheim verfrachten und dennoch bereite ich sie immer mal schonungslos darauf vor, dass dies passieren könnte. Mein Eindruck ist, dass sie es eher verdrängen und hoffen, dass sie einfach sterben - und ich mit meinem Bruder dann das Haus aufräumen darf. 

Der Blick auf die ältere Generation führt zwangsläufig auch zum Blick zurück auf unsere Generation, auf uns als Paar. Als kinderloses Paar. Das ist für mich der wesentliche Unterschied zu meinen Eltern. Sie können sich darauf verlassen oder zumindest hoffen, dass meinem Bruder und mir schon etwas Gutes für sie einfallen wird. Das wir uns kümmern. Mein Mann und ich wissen nicht, wer das sein wird, der sich kümmert. Unsere Nichten und Neffen? Vielleicht. Man kann darauf hoffen. Aber verlassen? Das wäre doch ein bisschen sehr gewagt. Unser Freundeskreis ist sehr gleichaltrig. Sich da auf Hilfe zu verlassen, ist ähnlich gewagt. Soviel zur Hochaltrigkeit. Und damit zu unserem Haus in Berlin. Ein altes Reihenhaus. Mit steilen Treppen. Ich habe heute schon manchmal Schwierigkeiten mit ihnen und überlege mir sehr genau, wann ich auf die Toilette gehe, denn die ist im 1. Stock. Zur Rente wollen wir unser Haus verlassen und in etwas Neues ziehen. Ohne Treppen. Leider auch ohne meinen Garten, fürchte ich. Aber vielleicht gibt es ja auch eine ebenerdige Lösung mit Garten. Das würde meine kleine Gärtnerinnenseele sehr erfreuen.

 

Mein Mann arbeitet bereits nicht mehr. Wie es dazu kam, werde ich die Tage mal hier aufschreiben. Ich arbeite als Coach und Trainerin. Seit 10 Jahren freiberuflich. Ich liebe meine Freiheit und will mir trotzdem nichts vormachen: Der Job ist anstrengend. Ich bin als Trainerin oft unterwegs, in ganz Deutschland. An den Tagen in Berlin coache ich. Ich liebe es, wenn Menschen oder auch Teams neue Wege im Leben und in der Arbeit entdecken. Das macht Spaß. Anstrengend dagegen finde ich die Akquise, die Reisen an andere Tagungsorte und den ganzen administrativen Kram, der mit meiner Tätigkeit dann eben auch verbunden ist.

 

Wie lange ich das noch machen will? Ich weiß es nicht. Es geht immer so weiter, von daher will ich mich nicht beklagen. Lange habe ich gedacht, dass ich coache, bis ich körperlich nicht mehr kann. Die Vision ging weit über die 67 hinaus. Mittlerweile zweifle ich manchmal an dieser Aussage. Ich erlebe mich als viel erschöpfter, als vor einigen Jahren. Das mag auch an dieser merkwürdigen Corona-Zeit liegen, vielleicht an den Wechseljahren oder am Alter. Ich weiß es nicht, ich weiß auch nicht, ob es dauerhaft ist,